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Männerspezifische Psychotherapie bei Depressionen

14 Nov 2024
ZüPP
Fachartikel
14 Nov 2024
ZüPP
Fachartikel

Dr. phil. Andreas Walther referierte an der ZüPP-Fortbildung vom 12. November 2024 zum Thema "Männerspezifische Psychotherapie bei Depression: Wirkt sie besser als Goldstandard Kognitive Verhaltenstherapie?". Anlässlich seines Referats hat er dazu folgenden Fachartikel verfasst.

In der aktuellen Forschung zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die klassische Diagnostik und Behandlung von Depressionen die spezifischen Bedürfnisse und Symptome von Männern oft nicht ausreichend berücksichtigt (S. Rice et al., 2022). Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass die Depressionssymptomatik von Männern häufig atypisch präsentiert wird und sich oftmals in externalisierenden Symptomen wie Ärger, Aggression, reduzierte Impulskontrolle, risikoreiches Verhalten, Somatisierung und Substanzmissbrauch äussert (Cavanagh et al., 2017; Genuchi & Mitsunaga, 2015; S. M. Rice et al., 2013; Seidler et al., 2016; Walther et al., 2021; Winkler et al., 2005). Diese Symptome stehen im Gegensatz zu den internalisierenden Symptomen wie Traurigkeit und Antriebslosigkeit, die traditionell mit Depression assoziiert werden und daher besser in klassischen Diagnoseschemata abgebildet sind (APA, 2013; Koukopoulos & Sani, 2014). Ein solcher geschlechtsspezifischer Ansatz in der Diagnostik und Therapie erscheint vielversprechend zur Verbesserung der Erkennung und Behandlung von Depressionen bei Männern (Eggenberger et al., 2023).

Traditionelle Männlichkeitsideologien (TMI)

Ein wichtiger Aspekt im Verständnis männlicher Depressionen sind traditionelle Männlichkeitsideologien (TMI), die gesellschaftlich konstruierte und akzeptierte Standards, Normen und Glaubenssätze darüber sind, wie Knaben und Männer zu sein und sich zu verhalten haben (Levant & Richmond, 2016). TMI umfassen folgende Bereiche, in denen Männer bestimmten Verhaltensnormen entsprechen sollten: emotionale Kontrolle, die Fokussierung auf Erfolg und Status, Risikobereitschaft, Eigenständigkeit sowie die heterosexuelle Selbstdarstellung, der Arbeit im Leben den Vorrang einräumen, die Betonung sexueller Aktivität (Playboy-Verhalten), Dominanz gegenüber Frauen und die Bereitschaft, Konflikte mit Gewalt zu lösen (Komlenac et al., 2023; Levant et al., 2020; Mahalik et al., 2003). Eine starke Konformität mit diesen Normen sind konsistent mit erhöhtem Risiko für Depressionen (Wong et al., 2017), Suizidversuchen und dem Versterben durch Suizid (Coleman et al., 2020; Walther, Grub, et al., 2023) sowie Alkoholkonsumstörungen (Zamboanga et al., 2024).
TMI erschweren Männern oft Hilfe für psychische Belastungen in Anspruch zu nehmen und führen zum männlichen Geschlechtsrollenkonflikt (Eggenberger et al., 2021, 2022; O’Neil, 2013; Wong et al., 2017). Der männliche Geschlechtsrollenkonflikt beschreibt psychische Spannungen, die entstehen, wenn Knaben oder Männer versuchen, TMI zu erfüllen, die oft schwer mit individuellen Bedürfnissen und Werten vereinbar sind. Der Diskrepanzstress entsteht, wenn eine Person das Idealbild der eigenen Geschlechterrolle nicht erreicht, was oft zu Selbstzweifeln und verringertem Selbstwertgefühl führt (Levant & Richmond, 2016). Besonders Männer erfahren Diskrepanzstress, wenn sie glauben, den Anforderungen der „männlichen“ Stärke und Kontrolle nicht gerecht zu werden, was häufig Scham und Unsicherheit nach sich zieht.
Dysfunktionsstress tritt auf, wenn das Einhalten traditioneller Geschlechterrollen negative Konsequenzen hat. In diesem Fall führt die strikte Einhaltung „männlicher“ Normen, wie die Vermeidung von Emotionen oder das unflexible Zeigen von Dominanz, zu Problemen wie sozialer Isolation, Aggression oder schlechten zwischenmenschlichen Beziehungen (Levant & Richmond, 2016). 

Psychotherapie bei Männern

Im Hinblick auf die Psychotherapie deuten neue Studien darauf hin, dass eine hohe Konformität mit TMI und das Erleben von GRK zu therapiestörenden Prozessen in der Psychotherapie führt (Walther, Ehlert, et al., 2023). So weisen z.B. Männer mit hoher Konformität mit TMI mehr Therapieabbrüche auf (Schneeberger et al., 2024) und eine geringere Ergebniserwartung (Schaub & Williams, 2007) als Männer mit einer niedrigen Konformität zu TMI.
Eine männerspezifische Psychotherapie sollte daher zwingend TMI und den Geschlechtsrollenkonflikt aktiv in die Behandlung integrieren. Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als Plattform nutzend kann eine männerspezifische Adaptation gelingen, wo bereits für eine männerspezifische Psychoedukation für Depressionen eine signifikante Reduktion von Scham und negativem Affekt bei psychisch belasteten Männern erreicht wurde im Vergleich zu einer Standard KVT Psychoedukation (Walther et al., 2024). Derzeit wird in einer randomisierten klinischen Studie die weltweit erste männerspezifische Psychotherapie für Depressionen im Vergleich zur KVT und einer Kontakt-Kontrollgruppe getestet, wo erste Resultate 2025 zu erwarten sind (Walther, Ehlert, et al., 2023).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für eine optimale Therapie depressiver Männer personalisierte Ansätze erforderlich sind, welche die sozialen und biologischen Besonderheiten der Depressionen bei Männern berücksichtigen. Die Entwicklung und Etablierung von männerspezifischen Psychotherapieprogrammen in die Diagnostik und Therapie könnte nicht nur die Therapiewirksamkeit für Männer erhöhen, sondern auch die Psychotherapienutzung allgemein und den Verbleib in der Therapie fördern.

Über den Autor

Dr. Andreas Walther ist Oberassistent für Wissenschaft und Lehre an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich und arbeitet zudem als klinischer Psychotherapeut (i.A.) am Ambulatorium für kognitive Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin des Psychotherapeutischen Zentrums der Universität Zürich. Dr. Walther ist Träger eines SNSF-Ambizione Stipendiums zur Evaluation seiner neu entwickelten Männerspezifischen Psychotherapie für Depression.

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